7 Jahren ago · Harold-Bobs · Kommentare deaktiviert für Fahrtenbericht Gedenkstättenfahrt Lessing Gymnasium 2017
Fahrtenbericht Gedenkstättenfahrt Lessing Gymnasium 2017
Fahrtenbericht von der Gedenkstättenfahrt des Lessing-Gymnasiums
zum Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz 18.09. bis 23.09.2017
Am Montag, den 18.09.2017 starteten 13 Schülerinnen und Schüler des 1. und 3. Semesters, begleitet von Herrn Gniewoß und Frau Fuchs, zur Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz. Die Busfahrt mit der IC-Verbindung der Deutschen Bahn begann um 11.45h vor dem Hauptbahnhof. Planmäßig erreichten wir nach Umsteiger-aufenthalt in Breslau Katowice, und ein bestellter Bus brachte uns von dort nach Oswiecim. Wir kamen kurz vor 19.45 Uhr in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte (IJBS, auf Polnisch „MDSM“) an und durften uns zuerst am Abendessen stärken. Nach dem Einrichten in den Zimmern wurden wir durch Klara und Emil, die beiden jungen Freiwilligen, mit der Hausordnung vertraut gemacht. Zum Abschluss sahen wir den Dokumentarfilm über die Befreiung des Lagers Auschwitz am 27.Januar 1945 durch die Sowjetische Armee. Dies seien „krasse, verstörende Bilder“, wie einige Schüler hinterher bekundeten, hinter denen die im Stammlager am Folgetag erlebbare Realität zurückblieb.
Dienstag, den 19.09.2017:
Nach dem Frühstück erhielten wir durch die Studienleiterin Ela Pasterak eine Einführung in die Geschichte von Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste und in die Arbeit der Begegnungsstätte seit ihrer Eröffnung 1986. Hauptaufgabe der Stiftung ist es heute, Seminare und Workshops der Begegnung und des Dialogs vor allem zwischen Polen und Deutschen zu organisieren. Etwa 160 Gruppen aus verschiedenen Ländern sind pro Jahr in die IJBS zu Gast. Neben der Begleitung von Studienaufenthalten und der Versöhnungsarbeit hat sich das Haus seit den 90er Jahren zur Stadt Oswiecim und zur Umgebung hin mit Konzerten. Lesungen, Vorträgen und Ausstellungen geöffnet.
Danach führte uns Emil und Klara durch die Altstadt von Oswiecim. Wir hatten Gelegenheit zum Geldtauschen und besichtigten das „Jüdische Zentrum“ in der wiedererrichteten Synagoge, die heute von jüdischen Gästegruppen für Gottesdienste und Veranstaltungen genutzt und von polnischen Schulklassen besucht wird. Emil gab uns während des Stadtrundganges Erläuterungen zur wechselvollen Stadtgeschichte u.a. über die Teilung Polens 1772, als Oswiecim an Österreich-Habsburg fiel und erstmals „Auschwitz“ genannt wurde, bis heute, da diese Stadt von fast 50 000 Einwohnern keinen einzigen jüdischen Bewohner mehr hat. Der letzte jüdische Bewohner Simon Kluger starb im Jahr 2000. In guten Zeiten war über die Hälfte der Einwohner von Oswiecim jüdisch, die bis 1939 mit der katholischen Bevölkerung weitgehend tolerant zusammenlebte. Die deutschen Besatzer planten Auschwitz zu einer Musterstadt zu machen, die durch die geplante Ansiedlung von Reichsdeutschen 80000 Einwohner bekommen sollte. Die heutigen Bewohner von „Oswiecim“ betonen den polnischen Namen der Stadt, um deren Weiterbestehen deutlich von den schrecklichen Jahren des Vernichtungsbetriebes in „Auschwitz“ abzusetzen. Am Nachmittag besuchten wir das Stammlager Auschwitz. Die sehr sachkundige und detaillierte Führung durch Herrn Lukasz Martyniak in den stark frequentierten Ausstellungsräumen des Lagers wurde durch ein Audiosystem mit Headsets sehr erleichtert. Lästig und zeitraubend ist allerdings die wegen der hohen Besucherzahlen notwendig gewordene Sicherheitskontrolle.
Neu für mich als Berichtenden war der Beginn der dreieinhalbstündige Führung in der israelischen Ausstellung („Shoa“), die in museumspädagogischer Hinsicht die modernste und anschaulichste ist. Starken Eindruck machte auf die SchülerInnen der brutale Kontrast zwischen Bildern des jüdischen Lebens vor 1933 bzw. 1939 in seiner Vielfalt (an einer „singenden Wand“) und der Rassenideologie der Nazis mit Tonbild- und Textdokumenten. Im nächsten Raum wurden biographische Zeugnisse von Überlebenden (Fotos, Interviews, Tagebücher, Briefe…) in überblendeten Einspielungen gezeigt, dann Kinderzeichnungen aus Theresienstadt und im letzten Raum ein riesiges Buch, in dem fortwährend die Namen der Ermordeten (bisher über vier Millionen) verzeichnet werden: „Jeder Mensch hat einen Namen“. Erst danach wurden wir in die museal aufbereiteten Häuser des Stammlagers geführt. Betroffen waren die Teilnehmer von den Vitrinen mit Menschenhaar und dem geraubtem Gut der deportierten Juden (Koffer, Prothesen, Schuhe, Bürsten und Alltagsgegenstände). Starken Eindruck machten auch die Porträt-Fotos, auf denen die Lagerverwaltung neue Häftlinge erkennungsdienstlich festhielt und die nun in den Fluren des Stammlagers hingen, – mit Einlieferungs- und Todesdatum (in der Regel war die „Lebensdauer“ nur noch ein bis drei Monate nach der Gefangennahme). Herr Martyniak zeigte die genaue Dokumentation der Vorgänge im Lager durch die SS und wie die Täuschung der Deportierten funktionierte, die anstatt zu leben in einen perfekt organisierten und bis ins Letzte verwerteten Tod getrieben wurden. Wir bekamen das Modell der Vernichtungsanlage und die illegal aufgenommenen, aus dem Lager geschmuggelten Fotos zu sehen, dann die Todeswand und den Strafbunker, in dem des Selbstopfers von Pater Maximilian Kolbe gedacht wird. Zum Abschluss wurden wir in die Gaskammer und das Krematorium I geführt. Es zeigte sich, dass die späte Besuchszeit kein Nachteil ist, da die Besucherzahl deutlich abgenommen hatte und wir so dem Gedränge in den engen Fluren entgehen konnten. Nach dem Abendbrot erfolgte eine intensive Gesprächsrunde zur Auswertung des Tages, bei dem einige Schüler/innen äußerten, sie hätten sich an einigen Orten mehr Zeit zum Verweilen und Studieren der Vitrinen gewünscht. Die Menge an Sachinformationen sei sehr erschöpfend gewesen und habe z.T. ihre Aufnahmevermögen überstiegen, jedoch wurde sie von allen als notwendig angesehen. Dabei sei jedoch der emotionale Aspekt zu kurz gekommen, so dass eine gewisse Distanz zur Realität des Gezeigten bestehen bleibe. Einige bezeichneten die Besichtigung des Stammlagers trotz seiner „musealen“ Präsentation als sehr bedrückend. Einige Bausteine des Auswertungsgespräches: Wie kann man sich anhand der Kinderzeichnungen in die Ängste der Opfer einfühlen? Was macht das mit einem Menschen, der an diesen Verbrechen aktiv beteiligt ist? Welche Beeinflussung muss vorangegangen sein, dass ein Mensch sich dafür hergibt und widerstandslos mitmacht? Gab es Formen des inneren Widerstands, des schlechten Gewissens oder der Depression unter den Tätern? Auch eine zynische Sicht wurde geäußert: „So ist der Mensch“ und „Lieber ein schlafender Mob als ein wütender Mob“. Es gebe keine Garantie dafür, dass „Auschwitz“ nicht doch noch einmal geschehen könne. Um das zu verhindern, brauche es engagierte Menschen, die für die Menschenrechte aller eintreten und gegen Politikverdrossenheit und Populismus ankämpfen.
Mittwoch, den 20.09.2017: Nach dem Frühstück besuchten wir die Bilderausstellung von Häftlingskunst im Block 25 des Stammlagers. Herr Jan Kaplon gab uns eine sehr interessante Einführung in die „Auftragskunst“ (in Form von Modellen und professionellen Bauzeichnungen), die Häftlinge ausführen mussten und damit eine größere Chance hatten zu überleben; daneben entstanden halblegale (z.B. von SS-Männern in Auftrag gegebene) und geheime, verbotene Kunstwerke. Etwa 90000 (!) Artefakte sind in den Lagerarchiven erhalten, wovon während der Lagerzeit ca. 6000 entstanden und z.T. zur Dokumentation der Verbrechen und als Akte des Widerstands und der Selbstverteidigung herausgeschmuggelt wurden. Auf den Auftragsbildern durften z.B. keine Häftlinge zu sehen sein. Geheime Zeichnungen entstanden oft aus dem Bedürfnis, etwas zu hinterlassen bzw. die eigene Identität festzuhalten. Z.B. schuf Dinah Gottlibova, eine tschechische Jüdin, im Auftrag des SS-Arztes Josef Mengele Sinti und Roma-Porträts von großer Schönheit. In unserem klimatisierten Raum waren ca. 40 Kunstwerke ausgestellt. Nach der Lagerzeit entstanden viele Bilder aus der Erinnerung, und noch heute werden der Gedenkstätte Auschwitz immer wieder Funde angeboten oder müssen trotz geringer Finanzmittel angekauft werden, ein Verweis auf die negativen Seiten des „Holocaust-Business“. Dies sei ein bislang vernachlässigter, aber sehr wichtiger Teil der Arbeit der Gedenkstätte, die leider einer größeren Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Im Anschluss daran nutzten die Schüler die Gelegenheit, in eigenem Tempo die nationalen Ausstellungen in den Häusern (u.a. die der Sinti und Roma oder die Hollands, Frankreichs oder noch einmal die „Shoa-Ausstellung“) zu besuchen. Die Ausstellung Österreichs ist wegen Überarbeitung ihrer veralteten Geschichts-darstellung skandalöserweise seit Jahren geschlossen.
Am Nachmittag wurden wir von Herrn Martyniak über drei Stunden lang bei strömendem Regen durch das Vernichtungslager Birkenau (Brzezinka) geführt. Bei der Errichtung des Lagers durch die Häftlinge des Stammlagers war in weitem Umkreis die ansässige Bevölkerung umgesiedelt worden. Wir bekamen im Turm des Eingangsgebäudes einen Überblick über die riesige Gesamtanlage, sahen die Quarantänebaracken im Männerlager, ehemalige Pferdeställe, erhielten Informationen über die „Lebens“-bedingungen der Häftlinge (z.B. in den Sanitär- und Waschbaracken), passierten den „Sterbetrakt“ des Frauenlagers und besuchten eine Baracke für Kinder, in den „idyllische“ Wandbilder eine heile Welt vorgaukeln sollten. Leider war infolge des starken Regens war ein Teil der Baracken unzugänglich.
Dann gingen wir entlang der Selektionsrampe bis zu den von der SS beim Abzug gesprengten Gaskammern und Krematorien II und III, dahinter liegend das Weiße und das Rote Haus (Bauernhäuser, die als provisorische Gaskammern dienten) und zu den Ruinen der Krematorien und Gaskammern IV und V. Auch wurden uns die Reste der Effektenlager („Kanada“), die Aschenteiche und der Entstehungsort von illegal entstandenen Fotos (Verbrennung von Leichen unter freiem Himmel, nackte Frauen auf dem Weg in die Gaskammer) gezeigt.
Wir sahen abschließend das ehemalige Aufnahmegebäude, genannt „Sauna“, mit seiner beeindruckenden Sammlung von Fotos jüdischer Familien und Einzelpersonen. Viele Teilnehmer fanden die Führung durch Birkenau sehr eindrucksvoll und waren von der schieren Größe des Vernichtungslagers und dem Wald an Schornsteinen der zerstörten Baracken überwältigt. Hier liege der Schwerpunkt, das Hauptthema unserer Reise. Die Dimension des Verbrechens empfanden einige als irreal, lobten jedoch die Eindringlichkeit und die Möglichkeit, dass man an diesem Ort die Dinge stärker auf sich wirken lassen konnte. Es wurde vorgeschlagen, die Reihenfolge der Besichtigungen umzukehren: Zuerst die Führung in Birkenau am „originalen“ Ort, danach das Museum des Stammlagers. Wäre es sinnvoll, an wichtigen Stellen Informationen per App verfügbar zu machen? Kommentar eines Teilnehmers: „Wir haben zu wenig über Hitler gesprochen!“
Donnerstag, den 21.09.2017: An diesem völlig verregneten Vormittag mussten die geplanten Erhaltungsarbeiten abgesagt werden. Stattdessen nutzten wir die Zeit, um den Film „Schindlers Liste“ anzuschauen (auch im Hinblick auf den Tag in Krakau – Steven Spielbergs Filmkulisse), den viele Teilnehmer noch nicht gesehen hatten. Es wäre notwendig gewesen, Spielbergs filmische Setzungen symbolisch aufgeladener Szenen mit der historischen und geographischen Realität abzugleichen.
Am Nachmittag stand die Arbeit mit Archivmaterialien in der Bibliothek der IJBS auf dem Programm, in die die Bibliothekarin Natalia Tachenko uns einführte. Anhand der angebotenen Akten (Augenzeugenberichte, Akten von KZ-Häftlingen oder von SS-Leuten) oder der Bücher zum Komplex Auschwitz konnte jeder eigene Leseerfahrungen machen. Konstruktiv und zügig bereitete zeitgleich eine Kleingruppe unseren abendlichen Gedenkakt vor. Kurz vor 18 Uhr brachte uns der Bus nach Birkenau, und wir führten im Dauerregen am Mahnmal unseren Gedenkakt durch. Als Textlesung hatten wir vier Texte ausgewählt: „Der Kamin“ von Ruth Klüger, Primo Levi, „Ist das ein Mensch“, den Schlussabschnitt aus „Meine Ortschaft“ von Peter Weiß und ein Zitat von Elie Wiesel über die Gefahr der Gleichgültigkeit. Dazwischen lagen jeweils Schweigeminuten, dann folgte das Niederlegen der (für jeden zwei) Rosen an einem Ort, den sich jeder Schüler selbst wählen konnte. Das symbolische Abschiednehmen geschah in aller Ruhe und Nachdenklichkeit. „Wo soll ich auf diesem Riesengelände meine Rose hinlegen? Welcher Ort ist mir wichtig?“ Alle empfanden den Dauerregen und den bedeckten Himmel als sehr passend.
Freitag, den 22.09.2017: Nach dem Frühstück und Kofferpacken nahmen wir um 9 Uhr Abschied vom „MDSM“ und von den beiden wunderbaren Freiwilligen und fuhren mit dem Bus nach Krakow. Wir konnten unser Gepäck schon in einem Zimmer des Studentenhotels „Nawojka“ unterbringen und fuhren von dort aus mit Michael Sobczak, dem Stadtführer vom Reisebüro „Marco der Pole“, zuerst in die ehemals jüdische Vorstadt Kazimierz. Wir erlebten eine sehr sachkundige, mit Krakauer Legenden und Mythen gewürzte Führung, durch das früher vor den Toren Krakows gelegene Viertel. Dort besichtigten wir die altehrwürdige Große Synagoge mit ihrer Ausstellung, sahen Orte des Films „Schindlers Liste“ und kamen über den Wawel-Hügel (mit dem Schloss, wo auch der deutsche Besatzungschef Hans Frank hauste, und der Königskathedrale) in die Altstadt, vorbei an wichtigen Gebäuden der alten Jagiellonen-Universität zur Marienkirche. Letzter Höhepunkt dort war der berühmte Veit-Stoß-Flügelaltar. Danach bekamen die SchülerInnen die lang ersehnte Freizeit für eigene Besichtigungen und Einkäufe. Am Abend genossen wir zum Abschluss des Aufenthalts die polnische Küche im Restaurant „Chlopskie Jadlo“ bei sehr guter Stimmung. Im Regen kehrten wir ins Hotel „Nawojka“ zurück. Alle Teilnehmer waren von der Schönheit und Lebendigkeit Krakaus begeistert.
Samstag, den 23.09.2017: Das Aufstehen und Packen nach teilweise kurzer Nacht klappte gut, es war kaum Zeit für das Frühstücksbüffet (naja) und fast ohne Stress brachen wir im Dauerregen mit einem Linienbus zum umtriebigen Krakower Busterminal auf. Der IC-Bus der DB startete pünktlich um 9.20 Uhr, die ganze Fahrt über herrschte schläfrige Stimmung. Die Rückfahrt mit Halt in Katowice und Wroclaw war dank der neuen Autobahn angenehm und schnell. Wir ließen das polnische Regengebiet hinter uns und kamen um 17.45 Uhr wohlbehalten in Berlin an.
Andreas Gniewoß-Danderski, 30.9. 2017
Fahrtenbericht GedenkstÑttenfahrt Lessing Gymnasium 2017
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